Ich mag ja Dystopien. Dunkle Zukunftsvisionen; allmächtige Technik; Menschen, die nicht mehr selbst denken und es lieber anderen überlassen… deswegen hatte ich mich auf Dave Eggers‘ viel gelobten Roman „Der Circle“ gefreut. Dass im Herbst eine Verfilmung mit Emma Watson in die Kinos kommen soll, hat mich dazu animiert, das Buch endlich zu lesen.
Inhalt
Maebelline „Mae“ Holland ist eine junge College-Absolventin, die es durch eine beim Circle äußerst einflussreiche Freundin schafft, einen der heißbegehrten Jobs dort zu ergattern. Der Circle, das ist eine Firma, die man sich vorstellen kann, wie eine gigantische Mischung aus Google, Facebook, Twitter und Amazon. Mae beginnt, in der Kundenbetreuung zu arbeiten, ist aber so gut, dass sie in der Hierarchie schnell aufsteigt. Schon zu Beginn wird klar, dass es im Kundenservice auf die Effizienz ankommt: Es soll geholfen werden, möglichst kompetent, möglichst schnell, am besten rund um die Uhr und das mit einem sehr guten Bewertungsdurchschnitt der Kunden. Mae gewöhnt sich schnell an diesen Ablauf. Außerdem genießt sie sämtliche Annehmlichkeiten, die ein Job beim Circle mit sich bringt: Neueste technische Geräte, ein hochmodern ausgestattetes Zimmer auf dem Campus, kostenlose Klamotten, eine ausgezeichnete medizinische Versorgung, ein soziales Leben und Anerkennung. Sie ist außerdem dankbar, ihren an MS leidenden Vater über den Circle mitversichern zu können, um ihm die richtige medizinische Versorgung zukommen lassen zu können. Auf einem der sozialen Events, vor denen Mae sich anfangs etwas scheut, lernt sie zudem den gutaussehenden, mysteriösen Kalden kennen. Doch warum nur ist er nirgendwo im System des Circle zu finden…?
Schnell kann einem schwindelig werden bei all den Feldern, die der Circle versucht, zu kontrollieren: Das virtuelle soziale Leben steht an erster Stelle, „Likes“, Kommentare und Partizipation sind das A und O, um im Ranking ganz oben zu bleiben. Überhaupt sind Zahlen das Wichtigste: Der Inhalt ist nicht so wichtig, solange die Zahlen am Ende stimmen. Der Circle übernimmt immer mehr Macht und als schließlich die Menschen kurz davor stehen, allesamt durch permanente Überwachung gläsern zu werden, steht auch der Circle knapp vor der Schließung. Der Circle soll ein vollkommener Kreis werden. Doch damit verliert Mae einige wichtige Menschen in ihrem Leben…
Leichte Enttäuschung auf inhaltlicher und schriftstellerischer Ebene
Nachdem ich seit Erscheinen des Buches so viel darüber gehört habe, habe ich mich, wie gesagt, sehr auf das Lesen gefreut. Am Ende war ich aber enttäuschter, als ich dachte. Das hat zwei Gründe: schreibtechnische und inhaltliche.
Zunächst zu den schreibtechnischen Problemen, die ich mit dem Buch habe. Eine rein formale Sache, die man sicherlich anders sehen kann, sind die fehlenden Kapitelunterteilungen. Ich mag es prinzipiell nicht, wenn ein so dickes Buch ohne jegliche Unterteilung geschrieben wird. Vielleicht hat das auch einen Sinn, wenn man an Metaphern wie die fortschreitende Entwicklung der Technologie oder, in dem Falle, des Circles denkt. Dann können die Kapitel für fortwährende, nach oben strebende, ununterbrochene Entwicklung stehen. Ob der Autor das tatsächlich so bezweckt hat? Ich weiß es nicht.
Das nächste für mich sind die Figuren. 558 Seiten habe ich gelesen und ich hatte nicht das Gefühl, besonders viel über die Hauptpersonen zu erfahren, ihr nahe zu sein oder ihre Entwicklung nachvollziehen zu können. Anfangs schien Mae aus meiner Sicht etwas skeptisch gegenüber den vielen Neuerungen zu sein. Das ließ schnell nach. Nachdem der vierte Extra-Bildschirm an ihrem Arbeitsplatz erschienen ist, hätte ich dann aber schon mal erwartet, dass Mae das einmal kritisch hinterfragt. Die anfängliche Skepsis, die ich bei ihr gegenüber der Medialisierung ihrer Umwelt gespürt habe, war irgendwann verflogen. Wie ein braves Hündchen nimmt sie jegliche Neuerung begeistert auf und macht sich selbst zum gläsernen Menschen. Zwischendurch gibt es zudem Streitpunkte mit ihren Eltern und ihrem Ex-Freund. Während Mae auf mich anfänglich noch nett und bescheiden wirkt, stellt sie sich im Umgang mit den wichtigsten Personen, ihren Eltern, als Biest heraus. Nicht nur ihren Eltern, auch ihrem Ex-Freund schenkt Mae absolut kein Gehör. Sie will nichts sehen und nichts hören, was nicht in ihr Circle-Weltbild passt. Ihr Ex, der nachvollziehbare, kluge und denkwürdige Argumente hervorbringt, wird von ihr nur noch als fett, hässlich, arrogant bezeichnet. Dabei ist sie diejenige, die eine derartige Arroganz an den Tag legt, dass es mich gruselt.
Denkbare Zukunft, aber nichts, was es nicht schon gibt
Inhaltlich bin ich im Prinzip recht zufrieden. Hier wird eine Zukunft entworfen, die gar nicht so undenkbar ist. Wenn man sich bestimmte, eingangs erwähnte Firmen und Institutionen anschaut, dann scheint der Vergleich mit einem Monopol wie dem Circle absolut nicht zu hinken. Das Buch gibt uns viele kleine und größere Dystopien, jedoch fehlt manchmal der neue Charakter. Gläserner Mensch, konstante Überwachung, virtuelles Leben – all das ist nichts extrem Neues, sondern eine Verschärfung der Dinge, die sowieso schon existieren. Letztendlich fehlt eine Art Lösung, ein Ansatz, der in dem Buch drin steckt, um mit diesen Veränderungen klarzukommen. Und damit meine ich nicht den bereits demonstrierten Gehorsam der Mehrheit der Menschen im Buch.
Insgesamt ist das Buch also meiner Meinung nach recht solide. Wenn man von desaströser Figurenentwicklung und sprachstilistischen Dingen absieht, kann man sich einer düsteren, technologiebestimmten Welt hingeben und sich selbst an der einen oder anderen Stelle fragen, was man in seinem eigenen Umgang mit modernen Medien ändern oder verbessern kann.
PS: Den Film werde ich natürlich trotzdem schauen. Ich bin gespannt, was daraus in dieser tollen Besetzung gemacht wird!
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