Filmrezension: Dancer in the Dark

OT: Dancer in the Dark; DN, D, NL, USA, GB u.a. 2000; Regie: Lars von Trier; FSK: ab 12

„Wenn du den Film anschaust, dann lass dich nicht ablenken. Kein Handy, nicht nebenbei bügeln, auch nicht nach der Zeit schauen.“

Das waren die Worte, die mein Kollege mir mit auf den Weg gab, als er mir „Dancer in the Dark“, seinen absoluten Lieblingsfilm, ausgeliehen hat.

Genau diese Worte würde ich auch jedem anderen mitgeben, denn der Film verlangt einem viel Aufmerksamkeit und ja, auch Emotionen, ab!

Inhalt

Amerika in den 60er Jahren: Die tschechische Einwanderin Selma arbeitet in einer Fabrik. Sie liebt amerikanische Musicals und wir sehen sie häufig in ihren Tagträumen durch die Fabrik tanzen und singen. Selma trägt eine große, runde Brille und scheint sich durch fast nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Oft trägt sie ein Lächeln auf den Lippen. Doch sie birgt ein Geheimnis: Selma droht zu erblinden. Dieser Defekt liegt in ihrer Familie und wird an die Kinder weitervererbt. Nichtsdestotrotz hat Selma ein Kind: Jean, ein Junge, der nicht älter als 12 Jahre sein mag.

Als Zuschauer kommen wir schließlich hinter das Motiv von Selmas Auswanderung in die USA: Dort arbeitet sie hart, um Geld für ihren Jungen zu sparen, damit er im frühen Alter operiert werden kann – und ihm somit das Schicksal der langsamen Erblindung erspart wird.

Mit ihrem Vermieter Bill teilt Selma ein Geheimnis: Er vertraut ihr an, dass er pleite ist und das Haus nicht mehr bezahlen kann. Selma vertraut ihm an, dass sie blind wird. Leider nutzt Bill das schamlos aus: Er merkt eines Abends, dass Selma ihn nicht sieht, obwohl er im Raum steht und dabei beobachtet er, wie sie das hart ersparte Geld in eine Dose packt und diese versteckt. Schon bald findet Selma die Dose leer vor – und sie hat sofort Bill im Verdacht.

Dramatische Wende

Ganz ruhig geht sie auf ihn zu und bittet ihn darum, ihr das Geld zurückzugeben. Doch dieser lässt es einfach nicht zu. Er richtet sogar seine Waffe auf sie. In einem großen Handgemenge, das Bills Frau zum Teil beobachtet, löst sich ein Schuss und Bill wird getroffen. Schließlich bittet er sie sogar darum, ihn zu töten, was sie auch tut. Völlig verzweifelt ist sie und weint sich die Seele aus dem Leib, als sie ihn umbringt.

[Achtung: Wer keine zu großen Spoiler möchte, sollte sich das Folgende nicht durchlesen. Für meine anschließenden Gedanken zum Film ist der Part allerdings wichtig, weswegen ich es in der Rezension belasse. 😊]

Anschließend muss sie sich natürlich vor Gericht verantworten, doch an keiner Stelle sagt sie die volle Wahrheit – dass Bill das Geld gestohlen hat und dass sie das Geld zurückgeholt hat, um ihr Kind zu heilen. Sie wird zum Tode durch Hängen verurteilt.

Auch als der Fall in Revision gehen soll und der Anwalt mit besagtem gespartem Geld für ihren Sohn bezahlt werden sollte, bricht sie die Arbeit an ihrem Fall lieber ab und nimmt den Tod in Kauf, als dass sie es riskiert, dass ihr Sohn nicht operiert wird. Kurz vor ihrem Tod erfährt sie noch, dass die Operation gelungen ist – ihr Sohn ist geheilt.

[Spoiler Ende]

Selma als starke Frau

Der Film ist eine manchmal bizarre Mischung aus Musical und Tragödie. Im Mittelpunkt steht Selma, auf der ein großes Schicksal lastet, die aber dennoch stark durchs Leben geht. Ihre Vorliebe für Musicals lebt sie in einer Musical-Gruppe aus. Doch ihre langsam voranschreitende Blindheit schränkt sie immer weiter ein: Das Fahrradfahren fällt schwer, sie sieht auf der Arbeit in der Fabrik nicht ihre Fehler, im Kino muss sie sich sagen lassen, was auf der Leinwand geschieht. Und doch spricht sie es fast nie laut aus, was mit ihr gerade geschieht.

Bis zuletzt habe ich mich gefragt, warum Selma einfach nie die Wahrheit über Bills Tod verraten hat: Hätte sie vor Gericht gesagt, dass er ihr das Geld zuerst gestohlen hat und dass er pleite gegangen war, wäre alles vielleicht anders ausgegangen. Auch, dass sie Geld für die OP ihres Sohnes gespart hat, um ihn zu schützen, hat sie so nie gesagt. Ich habe mitgefiebert, wollte Gerechtigkeit sehen, doch Selma wollte sie nicht.

Alles, was Selma wollte, war, dass ihr Sohn ein normales Leben führen kann. Dass er seine Kinder und Enkelkinder sieht. Mir wurde klar, dass das der Grund dafür war, warum sie nicht die Wahrheit gesagt hat: Lieber hat sie sich selbst aufgeopfert, lieber hing sie, fast wie Jesus, am Kreuz bzw. am Galgen und hat es hingenommen, was die Menschen über sie dachten und wie sie urteilten.

Damit ist Selma zu einer unglaublich tragischen Figur geworden.

Filmgestaltung

Etwas, was ich sehr auffällig fand, war die Gestaltung des Films. Schon früh wird klar, dass hier eine Handkamera zum Einsatz kam, also dass die Bilder oftmals wackelig und fast dokumentationsartig waren. Gerade die dunklen Farben waren oftmals grieselig und schwer zu erkennen. Das liegt nicht am Jahr der Produktion (2000) und dass es da keine „so tolle Technik“ wie heute gab, sondern es liegt an Lars von Trier, der zusammen mit Thomas Vinterberg das Manifest des „Dogma-Films“ ins Leben gerufen hat. Das bedeutet unter anderem, dass er seine Filme ausschließlich mit Handkamera dreht. Auch künstliches Licht ist nicht erlaubt. Es passt auch sehr zu Selmas Situation: Übersättigte Farben hätten ihre Erlebnisse unglaubwürdig gemacht. Die körnigen Bilder, die dunklen Schatten – fast kann man sich in ihre Situation versetzen.

Auch musikalisch ist der Film extrem interessant: in einem Musical kommt natürlich Musik vor. Diese stammt hauptsächlich von der isländischen Sängerin Björk, die die Selma im Film spielt. Die Musiknummern werden hauptsächlich von im Film vorkommenden Geräuschen inspiriert: So starten die Nummern, wenn Selma zum Beispiel in der Fabrik Klacken und Schaben wahrnimmt oder rhythmische Fußgeräusche inspirieren sie zu einem Lied. Abgesehen davon gibt es aber keine Musik im Film, was auch dem Dogma-Film zuzuschreiben ist: Nachträglich darf keine Musik in den Film eingebaut werden. „Dancer in the Dark“ lebt also von den Geräuschen im Film und den Gesangsnummern.

Meine Meinung

Der eingangs zitierte Satz meines Kollegen trifft absolut auf den Film zu. Wenn man sich diesem nicht richtig hingibt, dann verpasst man so Einiges. Zumal es dann schwierig wird, sich noch auf die Handlung zu konzentrieren. Abgesehen davon, ist es aber auch generell ein guter Rat beim Filme schauen: Wann habt ihr zuletzt zu Hause einen Film geschaut, ohne euch von irgendetwas ablenken zu lassen? Mir fiele das Nachdenken darüber jedenfalls schwer 😉

Dancer in the Dark“ ist definitiv kein leichter Stoff, sowohl künstlerisch als auch inhaltlich. Er wird sicherlich nicht zu meinen allerliebsten Filmen zählen, denn dafür mochte ich die Musik zu wenig und dafür drückte er mir auch zu sehr auf das Gemüt (ja, da bin ich doch etwas empfindlich. Schwerwiegende Filme begleiten mich bis in den Schlaf.), aber nichtsdestotrotz ist Lars von Triers Film ein großes Kunstwerk, das zum Beispiel die Rolle der Mütter, oder auch die Aufopferungsbereitschaft von Frauen in den Mittelpunkt stellt.

Wie geht es euch damit? Kennt ihr den Film oder andere Filme von Lars von Trier? Wie verkraftet ihr Filme mit ernsten Themen bzw. wie geht ihr damit um? Oder wollt ihr euch von Filmen einfach am liebsten berieseln lassen? 😊

Frohes Schauen wünscht

Jacqui

2 Kommentare zu „Filmrezension: Dancer in the Dark

Gib deinen ab

  1. Moin Jacqueline!

    Ich kann Deinen Eindruck vom Film nur bestätigen. Als ich ihn vor einigen Jahren (Ist es wirklich schon 18 Jahre her? Ich werde alt!) gesehen habe, war ich fasziniert und erschüttert – fasziniert von der Schlichtheit der Umsetzung und erschüttert von der Macht der Gefühle. Zudem bin ich ein Fan großer Schauspielkunst! Allerdings kann ich solche Filme nur dosiert „ertragen“, da mich das Gesehene immer einige Tage begleitet.

    „Die Farbe Lila“ zählt zu meinen Lieblingsfilmen, den ich allerdings nur dann in voller Länge sehen kann/möchte, wenn ich in der entsprechenden Stimmung bzw. Gemütsverfassung bin, d.h. (Achtung! Es wird dramatisch!) wenn ich übervoll mit Kummer bin und ein Ventil brauche, um hemmungslos weinen zu können. Ich habe mir den Film bisher „nur“ 3x angeschaut!

    Gruß
    Andreas

    Gefällt 2 Personen

    1. Guten Abend Andreas und vielen Dank, dass du deine Erlebnisse mit dem Film geteilt hast! Da kann ich dir nur zustimmen – solche tiefgehenden Filme, denen so eine schwere Thematik zugrunde liegt, begleiten mich auch immer ewig. Von daher ist es auch gut, dass du mir „Die Farbe Lila“ mit einem Warnschild empfohlen hast 😉 Man muss wirklich in der Verfassung dafür sein, allein schon, um dem Film gerecht zu werden. Sollte ich ihn mir eines Tages einmal anschauen, dann folgt hier sicher auch mal eine Rezension!

      Liebe Grüße,
      Jacqui

      Gefällt 1 Person

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