
Autor: Saša Stansišić
OT: Herkunft
Erschienen: 2019 in München: Luchterhand Literaturverlag
Seiten: 360
Woher kommen wir? Was macht uns zu dem, was wir sind? Und welche Rolle spielt unsere Sprache dabei? Dieser Frage geht der Autor Saša Stansišić in seinem Buch „Herkunft“ nach, welches 2019 mit dem Deutschen Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels als bester deutschsprachiger Roman ausgezeichnet wurde.
Worum geht es?
Der erwachsene Ich-Erzähler des Buches erzählt davon, wie er mit 14 Jahren mit seiner Familie von Jugoslawien nach Deutschland flieht. Der Vater ein Serbe, seine Mutter muslimische Bosniakin – diese Unterschiede, diese Kategorisierung, spielen erst in dem Moment eine Rolle, in dem die Familie fliehen muss.
Angekommen in Deutschland, versucht sich die Familie zu integrieren. Im Heidelberger Stadtteil Emmertsgrund lebt die Familie von nun an mit vielen weiteren Migrantenfamilien in der Nähe zusammen. Der Ich-Erzähler schildert, dass seine sehr gut ausgebildeten Eltern (der Vater Betriebswirt, die Mutter Politologin) in Deutschland nicht ihren eigentlichen Berufen nachgehen können – und stattdessen unter ihrer Qualifikation arbeiten müssen. Ein Schicksal, das sicher viele Migrant:Innen kennen, denn zu Beginn steht vor allem die sprachliche Hürde.
Dieser muss sich auch der Ich-Erzähler stellen – doch mit seiner Liebe zur Poesie, zur Literatur, entdeckt er auch die Liebe zur deutschen Sprache. Auch erzählt er uns von seiner ersten Liebe und schließlich auch von den Besuchen bei seiner Großmutter Kristina in Oskoruša .
Zwei Mal besucht er sie dort in Bosnien Herzegowina, einmal 2009 und einmal 2018. Doch was er da erlebt, sind nicht nur fröhliche Momente; Kristina hat Demenz und vergisst mehr und mehr Dinge.
Herkunft: was ist sie?
Kontinuierlich versucht der Ich-Erzähler (der viele Parallelen zu dem Autor selbst aufweist), die Frage nach der Herkunft, nach der Heimat, zu beantworten. Er findet langsam aber sicher eine Heimat in seinem Heidelberger Viertel, dort sind seine Freunde, dort hat er eine Gemeinschaft, die sich regelmäßig an der Tankstelle trifft.
Seine Herkunft: für den Erzähler oftmals zerstückelt. Herkunft kann vielleicht vielmehr als ein Gefühl denn als eine festgeschriebene Sache verstanden werden. Sein Land, in dem er viele Jahre aufgewachsen ist, gibt es so nicht mehr. Laut des Erzählers hat sich seine Familie zeitgleich mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens in alle Welt verstreut.
So versucht er Erzähler, Geschichte für Geschichte seine Herkunft zusammenzusetzen, aus den verschiedensten Versatzstücken und Erlebnissen seines Lebens. Eine Art zentraler Mittelpunkt ist seine Großmutter Kristina, die Demenz hat und langsam vergisst. Während sie nach und nach vergisst, ist es der Erzähler, der die Geschichte aufschreibt und fast schon eine Art Gedenken an seine Großmutter damit erschafft.
Sprachliche Kunst
Besonders beeindruckt hat mich an dem Buch die Sprache. Saša Stansišić schreibt mit einer solchen Leichtigkeit über dieses mitunter unglaublich schwere Thema, sodass es angesichts der Thematik trotzdem leichtfällt, durch die Geschichte zu gehen.
Der Autor schreibt außerdem manchmal so herrlich (selbst-)ironisch, sodass man direkt Sympathie mit dem Protagonisten empfindet.
A propos Autor und Ich-Erzähler: Natürlich wird das Buch maßgeblich von Stansišićs Erfahrungen geprägt. Viele Teile seiner Biographie spielen mit hinein. Dennoch handelt es sich um eine fiktive Person in dem Roman, was schon allein durch das Ende eindrucksvoll bewiesen wird. So gibt es nämlich nicht nur ein Ende des Romans, sondern gleich mehrere, die sich durch die Entscheidungen der Leser:Innen beeinflussen lassen.
Ihr seid neugierig geworden? Dann lest auf jeden Fall „Herkunft“ von Saša Stansišić! Es regt an, über die eigene Herkunft und über das Thema „Heimat“ nachzudenken. Darüber, was und wer einen im Leben geprägt hat. Außerdem lernt man interessante Aspekte der Jugoslawienkriege kennen und erfährt, wie diese einzelne Familien im Speziellen geprägt haben.
Nun bist du dran: Was bedeutet Herkunft für dich? Schreib es mir gerne in die Kommentare!
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