
OT: Flowers in the Attic
Autorin: Virginia Andrews
Erschienen: 2011 in Dublin: HarperCollinsPublishers
Seiten: 422
Manchmal läuft man so durch einen Buchladen und schaut sich auch das eine oder andere unbekannte Buch an und überlegt, ob der Klappentext einen überzeugen kann. Anfang Mai ging ich so durch die Easton-Buchhandlung in Galway und entdeckte einige Bücher, von denen ich noch nicht gehört hatte. So auch „Flowers in the Attic“ von Virginia Andrews. Spannend klang es! Nach Kindern, die erfinderisch werden! Oh, mein armes naives Ich… was dann im Buch passierte, damit hätte ich nämlich nicht gerechnet.
Worum geht’s?
Chris, Cathy, Cory und Carrie sind vier Geschwister und leben ein unbeschwertes Leben mit ihren Eltern in einem schönen großen Haus. Doch bei einem tragischen Unfall stirbt der Vater der Kinder und alles ändert sich schlagartig. Die Mutter der Dollenganger-Familie nimmt die Kinder in einer Nacht- und Nebelaktion mit und fährt zu den Großeltern, also den Eltern der Mutter, um dort zu leben. Doch die Kinder müssen versteckt vor dem Großvater, der die eigene Tochter einst verstieß, auf dem Dachboden leben. Nicht lange, so heißt es zunächst, nur eine Woche, bis sich die Lage beruhigt hat. Doch aus einer Woche werden zwei, aus zwei Wochen werden zwei Monate, bis schließlich mehrere Jahre daraus werden.
Die Mutter kommt die Kinder anfangs täglich, dann immer spärlicher besuchen. Die schreckliche Großmutter bringt den Kindern täglich das Essen. Alle scheinen damit einverstanden zu sein, die Kinder geheim zu halten – zumindest so lange, bis der verhasste Großvater stirbt. In dieser Zeit werden die Kinder immer erwachsener. Cathy und Chris, die beiden ältesten, durchleben ihre Pubertät und werden zu jungen Erwachsenen. Die Zwillinge Cory und Carrie sind noch Kleinkinder, als sie auf den Dachboden kommen und sind komplett unterentwickelt während ihrer Zeit im Versteck. Bis die Kinder eines Tages einen Fluchtversuch wagen…
Was ist mit der Mutter los?
Puh, liebe Leute, darauf war ich wirklich nicht vorbereitet. Das Buch ist übrigens ursprünglich im Jahr 1979 erschienen, es hat also schon einige Jahre auf dem Buckel (ich ging davon aus, dass es eine Neuerscheinung ist).
Ich habe mich schon ziemlich am Anfang des Buchs gefragt, was eigentlich mit der Mutter los ist. Sie wirkt am Anfang des Buchs direkt sehr oberflächlich – sie ist hauptsächlich mit ihrem Äußeren beschäftigt, über ihr Innenleben erfährt man nicht viel. Da sie Partys liebt, ist auch gerade eine im Gange, als die Polizei erscheint und vom Ableben des Vaters berichtet. Schon kurz darauf beschließt die Mutter, dass die Finanzen nicht mehr ausreichen und die Familie daher zu den Großeltern ziehen muss. Denn diese sind geradezu reich und die Mutter spekuliert darauf, dass der Großvater und danach sicher auch bald die Großmutter sterben werden und sie das ganze Geld erbt.
Die Kinder sind dann direkt auf dem Dachboden eingesperrt mit mehreren Regeln der Großmutter: Jungen und Mädchen dürfen nicht zur selben Zeit im Bad sein, sie dürfen sich niemals nackt sehen, an die Hygiene ist zu denken und sie dürfen keinen Lärm machen. Die Mutter gibt schließlich an, dass sie jetzt einen richtigen Job lernt und an einem Schreibmaschinenkurs teilnimmt. Doch schnell bemerkt man beim Lesen, dass das alles nur vorgetäuscht ist. Die Geschwister bekommen vor allem mit, dass ihre Mutter auf vielen Partys unterwegs ist, von den Großeltern gut eingekleidet wird und sich viel um sich selbst kümmert. Egal, wie es den Kindern geht. Sie lernt mit der Zeit außerdem einen neuen Mann kennen und ab diesem Zeitpunkt ist von ihr kaum noch Fürsorge zu sehen.
In jedem Fall ist die Mutter mit das schlimmste, was ich in einem Buch erlebt habe. Ich verstehe, dass sie auch ihre Geschichte und Traumata hat. Aber offensichtlich mangelt es ihr an absolut jeder Empathie, um zu sehen, dass es den Kindern verdammt schlecht geht und dass sie als Mutter einfach alles tun sollte, um sie aus diesem Umfeld zu schaffen und ihnen eine schöne Kindheit zu bereiten. Im Laufe des Buches wird dann auch klar, warum die Mutter so ist und warum sie jahrelang von ihren eigenen Eltern geächtet wurde…
Das Leben auf dem Dachboden
Viel spannender ist aber natürlich, wie die Kinder ihr Leben auf dem Dachboden verbringen. Die Geschichte wird aus Cathys Sicht erzählt, die zu Beginn des Buchs 12 Jahre alt ist. Sie erzählt, wie sie sich die Zeit vertreiben – dass sie lernen, um später einmal einen Beruf erlernen zu können, wie sie sich eine Fläche schaffen, um ihre Kreativität auszuleben und sich körperlich zu betätigen, wie Cathy und Christopher eine Art Elternersatz für die viel zu jungen Zwillinge sein müssen – eine Aufgabe, der die Kinder kaum gewachsen sein können, weil sie selbst noch Kinder sind.
Gerne hätte ich Cathy in den Arm genommen. Sie ist auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, muss mit Dingen wie der Pubertät, der ersten Periode und ihrer Trauer um den verstorbenen Vater mehr oder weniger allein zurechtkommen. Zudem wird von ihr verlangt, in eine Elternrolle zu schlüpfen, die sie kaum wahrnehmen kann, aber dennoch mit ihren Mitteln mit Bravour meistert.
Die meiste Zeit verstehen sich die Kinder gut und es gibt wenige Probleme. Doch je mehr die Zeit voranschreitet, desto mehr tut sich auch etwas in den Geschwistern. Cathy bemerkt als erste, dass die Mutter sich nicht so verhält, wie eine Mutter es tun sollte. Sie ist die erste, die gerne einen Fluchtversuch starten möchte und die Wut gegenüber der Mutter und den Großeltern entwickelt. Schon bald fragt sich auch Christopher, warum der Mutter das Geld und das Erbe wichtiger sind als die Gesundheit der Kinder. Denn diese verschlechtert sich immens im Laufe der Zeit. Das ist am besten an den Zwillingen zu sehen. Nicht nur, dass die Kinder nur mit den grundlegendsten Nahrungsmitteln versorgt sind, sondern es fehlen natürlich auch frische Luft, Bewegung im Freien und soziale Erlebnisse mit Gleichaltrigen. Noch dazu sind Cathy und Christopher in einem Alter, in dem man die erste Liebe findet und Erfahrungen sammelt… So kommt dann auch im Buch eine inzestuöse Beziehungsentwicklung zwischen den Beiden zustande, die zu den damaligen Zeiten natürlich für heftige Kontroversen gesorgt hat.
Da die Kinder aber schlau sind, überlegen sie sich schließlich einen Plan, wie sie endlich fliehen können…
Schreibstil und abschließende Erkenntnisse
Ihr seht schon, ich war schon wirklich geschockt von den Erlebnissen im Buch. Das hatte ich absolut nicht erwartet und ich habe mich die meiste Zeit einfach unglaublich über diese Mutter aufgeregt, die vor allem ihr eigenes Wohl im Sinne hatte. Ich glaube allerdings auch, dass sie eine psychische Störung hat (da will ich jetzt gar nicht Begrifflichkeiten festlegen, da ich mich dafür einfach nicht gut genug auskenne), und dass sie eigentlich in Therapie gehört hätte.
Auch die Entwicklung der Kinder auf dem Dachboden über Jahre hinweg könnte man einmal ganz genau analysieren und interpretieren. Ich fand es vor allem spannend, über ihre Entwicklung zu lesen und zu schauen, wie sie es schaffen, in diesem Mikrokosmos zu überleben.
Trotz all den Schrecken, die das Buch bereithielt, hat es mich letztendlich doch sehr gefesselt, was dem guten Schreibstil der Autorin zu verdanken ist. Besonders die Erzählung aus Cathys Sicht und nicht etwa aus einer auktorialen Sichtweise hat viel dazu beigetragen, dass man sich gut in das Innenleben der Protagonisten versetzen konnte und die Welt aus ihrer Sicht gesehen hat.
Ich habe gesehen, dass es noch weitere Bücher zu Virginia Andrews‘ Foxworth-Saga gibt (insgesamt sind es fünf Bücher), aber momentan glaube ich, dass ich dieses Buch für sich stehen lasse und die Reihe nicht weiterverfolge. Vielleicht ändert sich das in der nächsten Zeit aber noch, man weiß ja nie 😉
Und nun ihr: Habt ihr schon mal ein Buch gelesen, bei dem ihr etwas ganz anderes erwartet habt als ihr am Ende bekommen habt? Wenn ja, welches Buch war es und warum?
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