Autorin: Rebecca F. Kuang OT: Babel. Or the Necessity of Violence: An Arcane History of the Oxford Translators’ Revolution Erschienen: 2023 in Köln: Bastei Lübbe AG Seiten: 732
Ich glaube, mit „Babel” von Rebecca F. Kuang habe ich nun das erste Mal einen Roman gelesen, den man dem Sub-Genre Dark Academia zuordnen kann. Möglicherweise bin ich dem Genre nun total verfallen und muss mehr in diesem Bereich kennenlernen – oder Rebecca F. Kuang macht als Schriftstellerin einfach alles richtig und sie holt mich mit jedem Buch erneut ab und überzeugt mich von ihrem Können. Wie dem auch sei – nachdem ich die Autorin dieses Jahr bei einer Lesung in Stuttgart treffen durfte, habe ich mich schon darauf gefreut, „Babel“ schon bald in die Hand zu nehmen. Enttäuscht wurde ich nicht!
Worum geht’s?
China im Jahr 1828. Der junge Robin Swift verliert seine Mutter bei einem Cholera-Ausbruch. Der geheimnisvolle Professor Lovell nimmt den Jungen mit und bringt ihn mit nach London. Dort lernt er jahrelang vor allem Sprachen sehr intensiv – Latein, Altgriechisch und Chinesisch – damit er schließlich eines Tages am Königlichen Institut für Übersetzung der Universität Oxfort, auch bekannt als Babel, studieren kann.
Oxford ist, kurz gesagt, das Zentrum aller Sprachen und des Wissens. Mehr noch – neben Sprachen wird auch Magie gelehrt. Denn dort lernt man das Silberwerk – die Kunst, Silberbarren mithilfe von verlorengegangenen Übersetzungen zu manifestieren. Diese Kunst hat das dem britischen Empire viel Macht auf der Welt verliehen.
Anfangs noch begeistert von seinem Studium und den Freunden und Freundinnen, die er gefunden hat – Ramy, Victoire und Letty – lernt Robin jedoch schon bald einen chinesischen Jungen kennen, der ihm selbst erstaunlich ähnlichsieht – und der Robin zeigt, dass das britische Empire nichts weiter tut als Robins Vaterland auszurauben und zu benutzen. Er schließt sich der geheimen Bande an, die gegen Babel arbeitet, um es auf lange Sicht zu stürzen und die imperiale Expension des Empires zu verhindern. Als schließlich ein Krieg mit China um Silber und Opium ausbricht, muss Robin sich entscheiden, auf welcher Seite er steht.
„Er war in einem Alter, in dem die Sprache sich dauerhaft in seinem Geist eingeprägt hatte. Doch er musste versuchen, wirklich versuchen, nie auf einer anderen Sprache als seiner Muttersprache zu träumen.“ (S. 52)
Sprachwissenschaft meets magic
Einen großen Teil im Buch nimmt das Thema der Sprachen ein. Man merkt, dass die Autorin sich intensiv mit Sprachen und ihrer Herkunft auseinandergesetzt hat und dieses Wissen sehr genau in das Buch einfließen lässt. Ein bisschen habe ich mich an mein Studium der Sprachwissenschaften erinnert gefühlt, denn auch darin ging es immer wieder um die Herkunft einzelner Wörter, die Veränderung dieser im Laufe der Zeit und wie sich zum Teil Bedeutungen von Sprache zu Sprache ändern.
Im Buch ist das ganz besonders wichtig, denn die Kunst des Silberwirkens basiert auf dem sehr genauen Verständnis von Sprachen. Es wird immer ein Sprachenpaar benötigt. Wenn dieses ausgesprochen wird, wird eine Funktion freigesetzt. Das kann genutzt werden, um Bahnen auf den Schienen gut gleiten zu lassen, um die Produktion verschiedener Güter anzukurbeln, Kutschen schneller fahren zu lassen – oder auch, um Menschen zu töten oder Gebäude zum Einsturz zu bringen. Ein genaues Verständnis und Studium der Sprachen ist also nötig, um Silberbarren richtig herstellen und einsetzen zu können.
Ich fand diesen Ansatz im Buch zum Wirken von Magie total spannend, denn sowas ist mir noch nie begegnet. Auch in Harry Potter gibt es z.B. natürlich Zaubersprüche, die verschiedene Bedeutungen haben, aber auf dem Niveau von Kuang ist mir das Ganze wirklich neu. Ich fand den Aspekt sehr spannend, aber manchmal hat es die Geschichte auch in die Länge gezogen. Ein Buch von über 700 Seiten ist natürlich ein ganz schöner Klopper – da können die sprachlichen Ausführungen auch Sprachliebhaber:innen ab und zu mal zu viel werden.
Kolonialismus als Fantasy aufgearbeitet
Ein Aspekt, der bei Rebecca F. Kuang nicht neu ist, ist die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte in ihren Büchern. Sie selbst in Chinesin und hat Geschichte studiert und schafft es immer wieder, diese wichtigen Themen in ihren Fantasyromanen unterzubringen. Schon in „Im Zeichen der Mohnblume“ war dies ein Thema, bei „Babel“ ist das meiner Meinung nach noch mal ein Stück mehr der Fall. Und ich finde es absolut super, denn so kann die Autorin auch einem Publikum, das sich bisher vielleicht weniger für Kolonialgeschichte die in diesem Moment fiktiven, aber durchaus auf realen Ereignissen beruhenden Ereignisse näherbringen.
„Miss Slates Berichte haben mich hoffen lassen, dass du dich zu einem pflichtbewussten, schwer arbeitenden Jungen entwickelt hättest. Jetzt erkenne ich, dass ich mich geirrt habe. Faulheit und Verlogenheit sind unter deinesgleichen weit verbreitet. Deshalb bleibt China ein indolentes, rückständiges Land, während seine Nachbarn dem Fortschritt entgegeneilen. Du bist von Natur aus töricht, willensschwach und arbeitsscheu. […] Du musst lernen, die Verschmutzung deines Blutes zu überwinden. […]“ (S.69)
So werden Robin und seine Freund:innen auch immer wieder Opfer von Rassismus. Robin ist Chinese und wird oftmals auf eine herablassende und schreckliche Art und Weise behandelt. Aber während er weiß ist und sich unter idealen Bedingungen noch etwas besser unter die weißen Briten mischen kann, hat sein Freund Ramy dunkle Haut und wird so oft auch sehr schnell als „nicht zugehörig“ erkannt und so behandelt. Immer wieder spielen Mikroaggressionen eine Rolle im Buch, die Robin und auch Ramy dazu bringen, dass sie sich der Bande anschließen, die sich gegen Babel wendet. Nach und nach erkennen sie, dass das Empire die ausgebildeten Student:innen nur benutzen, damit diese mit ihrer Arbeit Verrat an ihrem Geburtsland begehen.
„Sie glaubt, dass es von der Abschaffung der Sklaverei nur ein Katzensprung zum Frauenwahlrecht wäre.“ Mr Ratcliffe lachte verächtlich. „Das wäre ja noch schöner.“ (S. 73)
Ich mag es sehr, dass die Autorin dieses Thema auf so eine kreative Art und Weise aufgreift und wir mit Robin und seinen Freund:innen mitfiebern und selbst überlegen, wie wir in dieser Situation handeln würden.
Freundschaft und Loyalitäten
„Doch die Antwort war offensichtlich – alle vier trieben im Unbekannten umher, sie waren einander wie ein Floß, und nur, wenn sie sich aneinander festklammerten, gingen sie nicht unter.“ (S. 132)
Natürlich spielen auch Freundschaft und Liebe eine große Rolle im Buch. Mit Ramy, Victoire, Letty und Robin haben wir ein Freundschaftsviereck, das von Anfang an besteht. Während Ramy und Robin mit Diskriminierung zu kämpfen haben, müssen Victoire und Letty die Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts aushalten und dagegen ankämpfen. Bei Victoire kommt dazu, dass sie ebenfalls PoC ist. Das schweißt die vier direkt zusammen und es entstehen über die Jahre hinweg viele Dynamiken. Auch Liebe ist immer wieder im Spiel – auch subtil queere Verbindungen habe ich zwischen den Zeilen herausgelesen.
Doch Betrug, wechselnde Loyalitäten und geheime Machenschaften stellen die Freundschaft immer wieder auf die Probe – bis hin zur allerletzten Freundschaftsprobe, die weitreichende Konsequenzen hat.
„Wenn man doch nur ganze Erinnerungen in Silber gravieren könnte, damit man sie im Laufe der Jahre wieder und wieder erleben könnte – nicht die grausame Verzerrung einer Daguerreotypie, sondern ein reines Destillat von Emotionen und Eindrücken.“ (S. 327)
Insgesamt war es für mich eine geniale Darstellung von Freund:innenschaften im Universitätsalter und unter Menschen verschiedener Herkunft. Es ist nicht immer alles nur rosig, Menschen werden verletzt, aber finden auch wieder zusammen.
Dark Academia Empfehlung
Auf jeden Fall kann ich abschließend allen nur „Babel“ empfehlen, die auf Dark Academia und Urban Fantasy stehen. Ich finde, dass diese Geschichte ein kleines Meisterwerk ist, das viele Themen auf spannende Art und Weise miteinander verflechtet. Der sprachwissenschaftliche Anteil kann bisweilen etwas langatmig werden, aber ich verspreche, wenn man sich darauf einlässt, kann man viele interessante sprachliche Dinge noch dazulernen. Und nun: Alle bitte ein Exemplar „Babel“ schnappen und in eine andere Welt entführen lassen.
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