Buchrezension: Helena Faye – Keine Version von dir

Autorin: Helena Faye
OT: Keine Version von dir
Erschienen: 2022

Wo sind hier meine Mittelalter-Festival-Fans? Ich finde zugegebenermaßen sehr viel Freude an Mittelaltermärkten. Die Atmosphäre, die Kostüme, das Essen, die angebotenen Artikel, Unterhaltung durch Bands, Gaukler usw. Es ist einfach eine ganz eigene Welt – und mit Mittelalter Festivals wie dem jährlich in mehreren Städten stattfindenden MPS (Mittelalterliche Phantasie Spectaculum) wird die Sehnsucht nach der Mittelalter-Szene gestillt. Aufgrund einer gewissen Pandemie musste das kulturelle Leben gezwungenermaßen eine ganze Weile stillstehen, doch eine Autorin beschenkt uns mit einem Buch, das die Wartezeit auf das nächste Festival etwas verkürzt. Die Rede ist von Helena Faye, deren Roman „Keine Version von dir“ ich bereits vorab lesen durfte.

Jacqueline als Waldelbin auf dem MPS 2019 in Hoppegarten
Das war ich 2019 auf dem Mittelalterliche Phantasie Spectaculum in Berlin Hoppegarten.

Worum geht’s?

Protagonistin Lola ist Musikjournalistin. Seit Jahren steckt sie in einer toxischen Beziehung mit Nils, doch lange merkt sie nicht, was daran so schlecht ist. Sie lebt ein anderes Leben, nämlich das ihres Freundes – als Jugendliche war sie rebellisch, hatte ihre eigene Meinung und liebte die Musik. Heute zieht sie lediglich schicke Businesskleidung an, findet sich auf Essen in teuren Restaurants wieder und verbiegt sich, damit sie ihrem Freund Nils alles recht macht.

Das ändert sich, als sie einen Artikel über das größte Mittelalterfestival Deutschlands schreiben soll, dem droht, im nächsten Jahr gecancelt zu werden. Durch diesen Arbeitsauftrag findet Lola eine alte Schulfreundin wieder, mit der sie sich blendend versteht und mit der sie die „alten Zeiten“ wieder aufleben lässt. Außerdem lernt sie bei ihren Recherchearbeiten die bekannte Mittelalterband Sturmkrähe kennen, zu dessen Frontsänger Luke sie eine besondere Freundschaft entwickelt. Mit seiner Hilfe sowie der ihrer Schulfreundin Tina findet Lola zu sich selbst zurück und erkennt, wer ihr im Leben nicht guttut.

Endlich wieder Mittelalter!

Ein Punkt, der mir am Buch natürlich besonders gut gefallen hat, ist das Thema Mittelalterfestivals. Ich weiß, dass die Autorin die Bands und die Atmosphäre genauso liebt wie ich – und ich finde, dass sie die Stimmung auf diesen Märkten und Festivals perfekt in ihrem Roman festgehalten hat. Etwas, was ich ganz essenziell finde, und was auch die Protagonistin Lola gut rüberbringt, ist diese familiäre Stimmung. Schnell freundet sich Lola zum Beispiel mit einer Schneiderin an und kommt mit vielen anderen Menschen ins Gespräch. Das hat etwas freundschaftliches, familiäres – jede und jeder wird schnell in die „Gemeinde“ aufgenommen und man bleibt sicher nicht lange allein, wenn man es nicht gerade darauf anlegt.

Natürlich spielt auch die Band Sturmkrähe eine große Rolle im Buch. Sicher erkennt man den einen oder anderen Musiker oder Musikerin anderer Bands in ihnen wieder. Auch diese Darstellung finde ich absolut gelungen. Von außen mögen manche unnahbar und hart aussehen, da es musikalisch oft Überschneidungen zum Metal gibt, aber eigentlich sind es fast alles unglaublich umgängliche und nette Menschen.

Toxische Beziehungen und Übergriffigkeit

Content Warnung: Im folgenden Abschnitt geht es um sexualisierte Gewalt und toxische Beziehungen.

Zwei große Probleme, die im Roman aufgearbeitet werden, sind toxische Beziehungen und sexualisierte Gewalt.

Wie ich bereits angedeutet habe, befindet sich Lola seit vielen Jahren in einer Beziehung mit Nils. Dieser scheint auf den ersten Blick nur das Beste für seine Freundin zu wollen, doch eigentlich ist er nichts anderes als ein Narzisst, ein Tyrann, ein Choleriker und, das fasst es sicher ganz gut zusammen, ein Idiot. Lola merkt das viele Jahre nicht – sie ist abhängig von ihm und fühlt sich ihm zu Dank verpflichtet, da er sie angeblich in allen Belangen unterstützt. Doch diese Mauer bröckelt schon sehr bald.

Als sie den Auftrag für das Festival bekommt und in Kontakt mit Tina tritt, passt Nils das überhaupt nicht. Ihm fallen alle möglichen Beleidigungen ein und er schreckt auch nicht davor zurück, Lola unter Druck zu setzen, damit sie sich nicht mehr mit der Mittelalterszene beschäftigt.

Noch schlimmer ist jedoch der Manager der Band Sturmkrähe, der sich als übergriffiger Arsch entpuppt. Im Buch wird mit diesen Situationen sehr gut umgegangen – Freunde helfen Lola, von Nils wegzukommen und auch der Manager wird umgehend entlassen, nachdem ein übler Vorfall bekannt wird.

Freundschaft und Liebe

Viel schöner war es hingegen zu sehen, wie sich die Freundschaft zwischen Lola und ihrer alten Schulfreundin Tina sowie zu den Bandmitgliedern von Sturmkrähe entwickelt hat. Wie eine große Familie wirkten diese sehr lebendig geschriebenen und gut greifbaren Menschen und wie die Autorin die Dynamik unter den Bandmitgliedern beschrieben hat, fand ich einfach großartig. Dass sie Lola so bereitwillig sofort in ihrer Mitte aufgenommen haben, hat einfach super gepasst.

Insbesondere Luke ist hier hervorzuheben, denn wie er sich – zunächst freundschaftlich – um Lola kümmert, ist sehr rührend! Obwohl auch er in einer seltsamen Beziehung mit einer Dame steckt, stößt er Lola bezüglich ihrer toxischen Beziehung in genau die richtige Richtung. Er hilft ihr, zu ihrem wahren Selbst zu finden und ist immer für sie erreichbar. Zwischendurch tut es fast schon weh, die beiden zu „beobachten“, denn jeder sieht, wie er und Lola sich entwickeln, doch die beiden brauchen ihre Zeit, sich zu entwickeln, und das ist okay so.

Kleine Kritik und große Empfehlung

Es gibt nur wenige kritische Punkte, die ich in „Keine Version von dir“ ansprechen kann. Etwas, was ich persönlich etwas störend fand, war Lolas Bild von anderen Frauen. Sie hat verschiedenen Frauen ein paar Mal aufgrund ihres Aussehens den Wert abgesprochen und sie – wenn auch nur in ihren Gedanken – beleidigt. Das hat sie manchmal etwas unsympathisch erscheinen lassen. Auch, dass sie sich ewig so klein gemacht hat, war gegen Ende etwas zu viel für mich. Das ist aber nur meine Betrachtungsweise – denn ich kann es natürlich auch verstehen, dass es für eine Person, die jahrelang in einer Beziehung einfach klein gehalten wurde, schwierig ist, von jetzt auf gleich diese Eigenschaft abzulegen und selbstbewusster zu werden. Daher ist diese Verhaltensweise schon nachvollziehbar.

Der Schreibstil von Helena Faye ist angenehm zu lesen und die Seiten flogen für mich nur so dahin! Sie beschreibt die Szenen sehr lebendig und erweckt das Festival und die Menschen durch ihre Worte zum Leben, was einfach Spaß macht zu lesen. Ab und zu gibt es einige Wortwiederholungen, die man vermeiden könnte, doch dies trübt den Lesespaß in keiner Weise. Besonders toll finde ich, wie im Buch Textnachrichten als bildlicher Chat dargestellt werden. Das bringt Abwechslung hinein und habe ich so noch nicht oft gesehen.

Für alle, die Musikfestivals vermissen, die es vermissen, im Sommer barfuß auf der Wiese zu tanzen, einen Met zu trinken und durch handgemachtes mittelalterliches Kunstwerk zu stöbern, dem sei „Keine Version von dir“ von Helena Faye absolut empfohlen! Das Buch findet ihr zum Beispiel auf Amazon als E-Book.

Viel Lesespaß wünscht

Jacqui

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