
Autorin: Kübra Gümüşay
OT: Sprache und Sein
Erschienen: 2020 in München: Hanser Verlag GmbH
Seiten: 207
Es gibt diese Bücher, bei denen es mir schwerfällt, dem Buch in einer Rezension gerecht zu werden. So geht es mir mit „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay, das ich zuletzt las und das mich wirklich auf vielen Ebenen beeindruckt und angesprochen hat.
Worum geht’s?
Kübra Gümüşay ist eine Journalistin und Aktivistin, die sich in ihrem Buch „Sprache und Sein“ damit beschäftigt, welche Macht unsere Sprache hat. Sie geht der Frage nach, wie Sprache unser Sein und unser Denken prägt und warum es wichtig ist, sie einmal genau unter die Lupe zu nehmen, da sie auch politische Auswirkungen hat. In zehn Kapiteln geht die Autorin auf ihre eigenen Erfahrungen als mehrfach marginalisierte Person und auf Erfahrungen anderer Menschen ein, um aufzuzeigen, wie Sprache wirkt, wie sie Menschen an den Rand drängt und wie sie genutzt werden kann, um eigene Gedanken, Positionen und Wünsche auszudrücken.
Von der Fremdsprache bis hin zum Gendern
Viele Themen werden aufgegriffen, die mich auch persönlich sehr interessieren. So geht es auch hier um die Gender“debatte“, wenn man es so nennen mag, denn es gibt ja noch immer genügend Menschen, die offenbar am liebsten explodieren oder zuschlagen würden, wenn sie irgendwo sehen, dass das Gendersternchen benutzt wird oder wenn eine Frau sagt, dass sie zum Beispiel in bestimmten Berufsfeldern auch sprachlich einfach mitgedacht werden möchte. Jedem, der ein Problem mit dem Gendern hat, möchte ich gerne dieses Zitat mit auf den Weg geben:
„Menschen so zu bezeichnen, wie sie bezeichnet werden wollen, ist keine Frage von Höflichkeit, auch kein Symbol politischer Korrektheit oder einer progressiven Haltung – es ist einfach eine Frage des menschlichen Anstands.“ (S. 49)
Warum fällt es manchen immer noch so schwer, die eigene eingeschränkte Perspektive einmal kurz zu verlassen und sich in andere Menschen hineinzudenken?
Auch um Diskriminierung, die bereits bei der Sprache anfängt, geht es unter anderem in dem Buch. So ist es doch für manche immer wieder erstaunlich, dass eine Frau ein Kopftuch tragen und dabei auch noch akzentfrei Deutsch sprechen kann. Immer wieder werden Betroffene darauf hingewiesen und ihnen somit deutlich gemacht: Du gehörst, so rein optisch, gar nicht hier her.
Selbst die Berichterstattung verdreht, wenn es z.B. um physische Angriffe geht, gerne die Realität. Dann schreiben Zeitungen gerne mal, dass eine Frau wegen ihres Kopftuchs angegriffen wurde. Dabei wurde sie angegriffen, weil der Täter einfach rassistisch ist. So zeigt Sprache, wie die Realität wahrgenommen wird.
Sprache zeigt die Perspektive der Sprechenden
Eine andere Sache, die ich spannend fand im Buch, ist die Mehrsprachigkeit von Menschen. So wird es zum Beispiel als wunderbar in unserer Gesellschaft angesehen, wenn ein Mensch mehrere Sprachen beherrscht – doch oftmals sind damit nur privilegierte Sprachen gemeint, wie zum Beispiel Französisch, Englisch, Spanisch und so weiter. Wächst ein Kind aber zweisprachig mit Deutsch und Türkisch auf, oder Deutsch und Arabisch,… (an dieser Stelle bitte gedanklich weitere Sprachen einsetzen, die halt nicht so angesehen sind wie andere), bekommt es dann die gleiche Anerkennung wie Kinder, die Französisch oder Englisch sprechen? Vermutlich nicht. Im schlimmsten Falle wird diesen Kindern sogar untersagt, auf dem Pausenhof in ihrer Muttersprache zu sprechen. Dabei zeigen Studien, dass das Lernen von Sprachen in einem frühen Kindesalter dazu führt, dass die entsprechenden Bahnen im Gehirn angelegt werden, mit denen sie auch später sprachlich dazulernen. Und dabei ist es völlig egal, ob es sich um Französisch, Chinesisch, Arabisch oder Swahili handelt.
Die Autorin spricht außerdem aus ihrer persönlichen Sicht davon, dass verschiedene Sprachen in verschiedenen Situationen in ihren Kopf kommen bzw sie im Alltag in mehren Sprachen denkt. Türkisch ist für sie die Sprache der Liebe, Arabisch eine spirituelle Sprache, Deutsch die Sprache des Intellekts und Englisch die Sprache der Freiheit. Und wie schade wäre es, wenn wir uns in unserem Alltag für eine Sprache entscheiden müssten? Ich finde es wahnsinnig spannend, dass in verschiedenen Situationen verschiedene Sprachen in den Kopf kommen. Wir alle kennen ja auch die Worte, die in einer Sprache eine bestimmte Sache bezeichnen, für die es in anderen Sprachen kein Wort gibt. So stelle ich es mir auch bei mehrsprachig aufgewachsenen Menschen vor – manche Dinge kann man einfach so besser ausdrücken.
Zuletzt möchte ich noch kurz darauf eingehen, dass Gümüşay feststellt, dass Sprache immer einen bestimmten Standpunkt aufzeigt. So lassen sich bestimmten Parteien Ausdrücke zuordnen, die es in unsere Gesellschaft und Sprache geschafft haben. Denken wir mal alle an den Begriff „Gutmensch“. Mich hat es von Anfang an genervt, dass dieser Begriff irgendwann zu einer Beleidigung geworden ist. Denn warum sollte ein Mensch nicht gut sein wollen? Was ist denn die Alternative – andere Menschen wie Mist zu behandeln und sich einfach des Widersetzens wegen sich zu widersetzen? Das sieht auch Gümüşay so:
„In dem Moment, in dem ein Begriff wie „Gutmensch“ zur Beleidigung wird, blicken wir auf die Engagierten und die Toleranten durch die Brille der Rechten. Wir setzen sie in einen Käfig und homogenisieren ein weites und heterogenes Spektrum von Menschen. Wir reduzieren sie auf wenige Facetten.“ (S. 124).
Große Empfehlung
Huch, ihr seht, es fällt mir etwas schwer, hier eine Rezension nach „Schema F“ für „Sprache und Sein“ zu schreiben, da das Buch so vielseitig und interessant ist, dass man es kaum auf einen Punkt bringen kann. Mein Fazit ist auf jeden Fall, dass jeder dieses Buch mal gelesen haben sollte. Vielleicht mangelt es dem einen oder anderen in dem Buch an konkreten „Lösungsvorschlägen“. Ich finde aber: dafür ist die Autorin nicht zuständig. Als marginalisierte Person sollte es reichen, aufzuzeigen, wo es zwickt und wie man es besser machen oder sagen könnte. Umsetzen sollten es alle, die die Realität noch nicht ganz begriffen haben und weiterhin Frauen, Transsexuelle, Türk*Innen, und noch viele mehr nicht nur sprachlich an den Rand drängen.
Viel Spaß beim Lesen wünscht
Jacqui
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