Buchrezension: Marlen Haushofer – Die Wand

Marlen Haushofers Roman "Die Wand"

Autorin: Marlen Haushofer
OT: Die Wand
Erschienen: 1968, 5. Auflage 1992 in München: neuer Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG
Seiten: 235

Habt ihr auch diese gewissen Bücher, die euch eine ganze Weile nicht loslassen und euch zum Nachdenken bringen? Bei mir war es zuletzt „Die Wand“ von Marlen Haushofer. Ein Buch, das mich wirklich nachdenklich gemacht hat, mich erschüttert und fasziniert hat.

Worum geht’s?

Die namentlich nicht genannte vierzigjährige Protagonistin reist mit ihrer Cousine Luise und deren Ehemann Hugo übers Wochenende in eine Jagdhütte in die Berge. Auch Hund Luchs ist mit von der Partie. Eines Tages jedoch scheinen Luise und Hugo verschwunden zu sein. Die Frau macht sich zusammen mit Luchs auf die Suche nach den Beiden, als der Hund plötzlich vor etwas Unsichtbares zu stoßen scheint. Die Frau muss feststellen, dass sich weit um die Hütte herum eine Art unsichtbare Wand gebildet hat. Hinter der Wand, im Dorf, sind Menschen zu erkennen, die alle in ihrer letzten Bewegung erstarrt sind und offenbar nicht mehr leben.

Daraufhin muss die Protagonistin ihr Leben auf der Jagdhütte, in ihrem kleinen Mikrokosmos, neu einrichten. Fernab der Zivilisation muss sie lernen, Essen anzubauen, körperliche Arbeiten zu verrichten und mit Krankheiten zurechtkommen. Mit der Zeit gesellen sich einige Tiere zu ihr, wie eine Katze, die Junge bekommt und eine trächtige Kuh.

Mit den Jahren entwickelt die Frau eine immer größere Distanz zu ihrem früheren Leben. Eines Tages jedoch begegnet ihr ein fremder Mann auf der Alm und er scheint nichts Gutes im Sinne zu haben…

Das Leben in Isolation

Faszinierend war es für mich, wie die Protagonistin ihr Leben auf der Jagdhütte niedergeschrieben hat. Sie hat alles genutzt, was sie zum Schreiben finden konnte. Anfangs noch etwas unbeholfen, hat sie schnell Strategien gefunden, um sich ihr erzwungenermaßen neues Leben in den Bergen einzurichten. Bauernkalender helfen ihr beim Anbau von Lebensmitteln und viel lernt sie in Eigenregie. Fernab von Bibliotheken und dem noch nicht einmal erfundenen Internet in den sechziger Jahren bleibt ihr auch nichts anderes zu tun als „Trial and Error“ und daraus zu lernen.

Anfangs habe ich mich gefragt, woher diese Wand kommt, warum sie da ist und ob wirklich alle Menschen hinter ihr einfach gestorben sind. Doch mit der Zeit rückt diese Frage in den Hintergrund  – aus dem einfachen Grund, weil sie für das Leben der Frau unwichtig ist. Wichtig ist nur, wie sie die nächste Zeit überlebt. Die Tiere leisten ihr eine wunderbare Gesellschaft, doch andererseits tut es ihr weh, dass sie so eine Verbindung mit ihnen aufbaut, denn früher oder später muss sie ja von ihnen Abschied nehmen…

So wird der Roman denn auch mit der Zeit zu einer Gesellschaftskritik: Die Protagonistin hinterfragt sich und ihr früheres Leben. So fragt sie sich, wie sie sich nur früher immer hat hetzen lassen. Warum sie so viel auf ihr Aussehen gegeben hat. Warum ihr so viel an Besitz lag.

Das überträgt sich auch auf die Zivilisation: Ein alter Mercedes, der beim Jagdhaus steht, ist durch die Wand einfach nutzlos geworden, das Statussymbol ein Nichts, das von der Natur zurückerobert wird. Ähnlich sieht es auch mit dem Leben außerhalb der Wand aus: Die Natur holt sich ihr Territorium ohne Rücksicht auf Verluste zurück. Mit den nicht mehr vorhandenen Menschen kann sie sich einfach ausbreiten, sie überlebt alles.

Für die Sechzigerjahre, in denen das Buch entstanden ist, ist der Roman außerdem außerordentlich feministisch. Die Protagonistin erwähnt an einer Stelle, dass sie ihre Situation lieber mit einer alten Frau teilen würde als alleine mit einem Mann in der Hütte zu sein. Ihre Situation zeigt außerdem, wie sie alleine sämtliche Arbeit übernimmt, ungeachtet von herrschenden Schönheitsidealen oder klassischen Rollenaufteilungen.

Magischer Realismus aus der Ich-Perspektive

Die Wand“ hat Marlen Haushofer aus der Ich-Perspektive geschrieben. Das bringt uns als Leser*innen nah an die Protagonistin heran. Ich konnte mich dadurch so gut in sie hineinversetzen. Es hat nicht lange gedauert, bis ich mir vorgestellt habe, ich wäre in so einer Situation und müsste mein Leben wie sie einrichten.

Haushofer schreibt in meinen Augen sachlich und neutral in der Situation der Protagonistin. So hatte ich das Gefühl, dass sie stets den Überblick behielt. Der Schreibstil unterstreicht auch die Distanz, die sich so langsam zu ihrem früheren Leben aufbaut, was ich echt interessant finde.

Das Buch würde ich dem Magischen Realismus zuordnen. Weiter oben habe ich ja bereits geschrieben, dass die Wand schnell akzeptiert wird. Durch diese Art des Schreibens habe auch ich schnell von der Frage abgelassen, was die Wand soll und ob sie jemals wieder verschwinden wird und was danach passiert, weil es in diesem Moment einfach nicht wichtig war oder ist. Man nimmt sie einfach als gegeben hin, so wie es die Protagonistin tut.

Insgesamt kann ich nur jedem ans Herz legen, das Buch zu lesen. Ich fand es durchweg spannend, auch wenn es „nur“ um alltägliche zu verrichtende Dinge ging. Spannend war für mich auch die Art und Weise, wie die Frau versucht hat, sich an ihr neues Leben anzupassen – Nahrungsmittel anzubauen, Tiere zu versorgen, zu jagen und Holz sammeln zu gehen. „Die Wand“ hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen und ich denke mir, dass das auch bei vielen von euch der Fall sein könnte – wenn ihr also die Möglichkeit habt, lest das (recht kurze) Buch!

Schreibt mir auch gerne in die Kommentare, ob ihr das Buch (oder den Film mit Martina Gedeck) bereits kennt oder ob euch die Geschichte interessiert 😊

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Jacqui

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